von Alex Reichmuth, Nebelspalter

Trotz des Verbots schädlicher Fluorchlorkohlenwasserstoffe geht die Ausdünnung der Ozonschicht über den Polgebieten kaum zurück. Immer wieder zeigen sich Forscher überrascht darüber. Doch nun hat die Wissenschaft scheinbar eine Erklärung gefunden: Es liegt an der Erderwärmung.

Das Ozonloch war in den 1980er- und 1990er-Jahren, was der Klimawandel heute ist: Anlass für Weltuntergangsstimmung. 1985 entdeckten Forscher erstmals, dass die Ozonschicht über der Antarktis deutlich ausgedünnt ist. Die Ozonschicht liegt in der Stratosphäre in einer Höhe zwischen 15 und 25 Kilometern und schirmt die Erde massgeblich vor ultravioletter Strahlung ab. Nun beobachteten Wissenschaftler, dass die Ozonkonzentration im antarktischen Frühling regelmässig massiv abnimmt.

Angst vor Hautkrebs und anderen gesundheitlichen Folgen der Strahlung machte die Runde und sorgte für Panikschübe auf der ganzen Welt. Das amerikanische Worldwatch Institute sagte «Millionen von zusätzlichen Toten» wegen Krebs voraus. Die Umweltorganisation Greenpeace sprach vom «letzten Akt für das Leben auf dem Planeten».

Verbot von FCKW rasch durchgesetzt

Der Schuldige am Ozonloch war scheinbar schnell gefunden: der Mensch. Der Ausstoss an Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) galt als Ursache des Ozonabbaus. FCKW wurden etwa in Sprühdosen, Kühlschränken und Feuerlöschern verwendet. Ihre Anreicherung in der Stratosphäre baut die Ozonmoleküle in der Stratosphäre ab, lautete die Erklärung.
Die Welt reagierte rasch und beschloss 1987 im Abkommen von Montreal, die Verwendung von FCKW schrittweise zu verbieten. Das Verbot konnte in relativ kurzer Zeit durchgesetzt werden. Heute gilt das koordinierte Vorgehen zum Schutz der Ozonschicht als Präzedenzfall, wie die Staaten ein Umweltproblem angehen und gemeinsam lösen können.

Der Berner Klimaforscher Thomas Stocker sprach von einer «Erfolgsstory». Man erkenne, «was bewirkt werden kann, wenn die Wissenschaft auf ein Problem hinweist und die Politik und die Industrie dann darauf reagieren, indem sie gewisse Produkte verbieten».

Der frühere Uno-Chef Kofi Annan bezeichnete das Montreal-Abkommen als «vielleicht erfolgreichsten internationalen Vertrag überhaupt». Auch der renommierte Berner Klimaforscher Thomas Stocker sprach von einer «Erfolgsstory». Man erkenne, «was bewirkt werden kann, wenn die Wissenschaft auf ein Problem hinweist und die Politik und die Industrie dann darauf reagieren, indem sie gewisse Produkte verbieten». Stocker wollte damit sagen, dass auch beim Problem Klimawandel internationales Handeln gegen den Ausstoss von Treibhausgasen nötig sei.

Rekord-Ozonloch 2006 über der Antarktis

Doch es gibt ein Problem bei der scheinbaren Erfolgsstory: Das Ozonloch über der Antarktis existiert noch immer, und über der Arktis ist sogar noch ein zweites dazugekommen – trotz des Abkommens von Montreal. So stieg die saisonale Ozonausdünnung über der Antarktis 2006 auf ein bis dahin noch nie gesehenes Mass. 2015 erreichte das Ozonloch über der Südhalbkugel die zweitgrösste je gemessene Grösse. 2011 wurde auch über der Arktis eine Ozonausdünnung mit Rekordwerten registriert.
2015 musste die Uno-Weltorganisation für Meteorologie eingestehen, dass es keine Belege für eine Erholung der Ozonkonzentration gebe. Man habe zwar «erste Hinweise auf eine Wende» gefunden, aber diese seien statistisch noch nicht signifikant. Forscher wiesen darauf hin, dass der Abbau der FCKW in der Stratosphäre möglicherweise länger dauert als in den Modellrechnungen angenommen. «Die Physik der Atmosphäre ist komplex, und viele Prozesse sind nicht vollständig oder ausreichend verstanden», sagte der deutsche Wissenschaftler Michael Bittner gegenüber der «Zeit».

«So etwas haben wir noch nie gesehen»

Trotzig hielten die meisten Wissenschaftler daran fest, dass die Bekämpfung des Ozonlochs eine Erfolgsgeschichte sei. «Das von Menschen gemachte FCKW-Problem ist gelöst, diese Gefahr ist definitiv gebannt», behauptete der deutsche Geophysiker Martin Dameris gegenüber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Die Medien applaudierten jedes Mal, wenn Forschungsresultate ein baldiges Ende des Ozonabbaus plausibel machen wollten. «Ozonloch über der Antarktis schliesst sich», verkündete 2016 die «Neue Zürcher Zeitung». «Geht doch!», schrieb die «Zeit».

2018 und 2020 nahm das Ozonloch über der Antarktis wiederum riesige Ausmasse an. Und über der Nordhalbkugel erreichte die Ozonausdünnung letztes Jahr erneut einen Rekordwert.

Doch das Ozonloch blieb. 2018 und 2020 nahm es über der Antarktis wiederum riesige Ausmasse an. Und über der Nordhalbkugel erreichte die Ozonausdünnung letztes Jahr erneut einen Rekordwert. «So etwas haben wir noch nie gesehen», gab sich Wissenschaftler Martin Dameris überrascht. Andere Forscher gestanden ein, dass ein starker Ozonabbau über der Arktis noch für mehrere Jahrzehnte möglich bleibt.

Abkühlung der Stratosphäre als Ursache

Doch jetzt scheint es eine Erklärung zu geben, warum sich das Ozonloch trotz des angeblich erfolgreichen Montreal-Abkommens hartnäckig hält: Der Klimawandel ist schuld. Das ist das Fazit einer Studie des deutschen Alfred-Wegener-Instituts in Zusammenarbeit mit der amerikanischen University of Maryland. Die Studie ist im Fachblatt «Nature Communications» erschienen.
«Damit es zu einem Abbau von Ozon in der Arktis kommt, muss sich die Stratosphäre im Bereich der Ozonschicht stark abkühlen», erklärte Erstautor Peter von der Gathen vom Alfred-Wegener-Institut. Die Analyse meteorologischer Daten der letzten 56 Jahre zeige einen Trend hin zu tieferen Temperaturen in den kalten stratosphärischen Wintern. Die Auswertung von Klimamodellen ergebe klar, dass dieser Trend Teil des Klimawandels sei, so von der Gathen. Denn Treibhausgase wie CO2, die an der Erdoberfläche zur globalen Erwärmung führten, würden eine Abkühlung der höheren Luftschichten in der Stratosphäre fördern.

Katastrophen-Warner können sich bestätigt fühlen

Die Forscher warnten, der Ozonabbau über der Arktis könne sich bis zum Ende des Jahrhunderts noch intensivieren, wenn eine schnelle und konsequente Reduktion der globalen Klimagasemissionen ausbleibe. Dies werde auch in Europa, Asien und Nordamerika die UV-Strahlungsbelastung erhöhen, wenn jeweils Teile des Polarwirbels nach Süden vordringen würden. «Es gibt viele Gründe, die Treibhausgasemissionen schnell und umfassend zu reduzieren», betonte Markus Rex, Co-Autor der Studie. «Eine drohende Verschärfung des Ozonabbaus über der Arktis kommt jetzt noch dazu.»

Wer gerne vor Umweltkatastrophen warnt, darf sich bestätigt fühlen: Das Abkommen von Montreal kann weiterhin als Erfolgsstory gelten. Und der Klimawandel ist scheinbar noch gefährlicher als angenommen.

Gemäss dieser Erklärung ist also wiederum der Mensch schuld, dass das Ozonloch nicht weicht. Er hat zwar den Austoss von FCKW eliminiert, nicht aber den von Klimagasen wie CO2. Mögliche natürliche Ursachen der Ozonausdünnung treten in den Hintergrund. Wer gerne vor Umweltkatastrophen warnt, darf sich bestätigt fühlen: Das Abkommen von Montreal kann weiterhin als Erfolgsstory gelten. Und der Klimawandel ist scheinbar noch gefährlicher als angenommen.
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